Faultier Fiete und der verlockende Dschungel-Traum

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In den tiefgrünen Weiten des südamerikanischen Regenwaldes, wo riesige Bäume den Himmel kitzelten und farbenprächtige Vögel fröhliche Lieder sangen, lebte ein ganz besonderes Faultier namens Fiete. Fiete war nicht nur irgendein Faultier; er war ein Meister des Müßiggangs, ein Virtuose der Verträumtheit und ein absoluter Spezialist im Schlafen. Wenn es einen Weltrekord im Nickerchen-Halten gegeben hätte, Fiete hätte ihn mühelos gewonnen.

Sein Zuhause war ein alter, majestätischer Kapokbaum mit dicken Ästen, die sich perfekt zum Abhängen und Dösen eigneten. Von seiner Lieblingsgabelung aus konnte Fiete, wenn er sich denn einmal die Mühe machte, seine Augen einen Spaltbreit zu öffnen, den ganzen Dschungel überblicken. Er sah bunte Tukane, die vorbeiflatterten, hörte das leise Rascheln der Blätter im Wind und spürte die warme, feuchte Luft auf seinem zotteligen Fell. Aber meistens sah und hörte er nichts, denn er schlief.

Morgens, wenn die ersten Sonnenstrahlen durch das dichte Blätterdach tanzten und der Dschungel langsam erwachte, drehte sich Fiete nur ein wenig in seiner Astgabel, gähnte herzhaft und suchte sich die bequemste Position für seine nächste Runde Schlaf. Während andere Faultiere vielleicht ein einziges Blatt knabberten oder langsam ihren Ast entlangkletterten, zog Fiete es vor, seine Energie für etwas viel Wichtigeres zu sparen: seine Träume. Und Fiete träumte von den wunderbarsten Dingen: von riesigen, leckeren Blättern, die ihm direkt ins Maul fielen, von Ästen, die ihn von Baum zu Baum schaukelten, ohne dass er einen Muskel bewegen musste, und manchmal sogar davon, der schnellste Läufer im Dschungel zu sein – obwohl er wusste, dass das der absurdeste Traum von allen war.

Eines Tages, als Fiete gerade mitten in einem besonders schönen Traum von einer Wolke aus Bananen schwebte, wurde er jäh gestört. Ein lautes, aufgeregtes Piepsen drang an sein Ohr. Es war Kiki, ein kleiner, flinker Kolibri, der Fietes einziger Freund im Dschungel war. Kiki war das genaue Gegenteil von Fiete: immer in Bewegung, immer neugierig und immer voller Energie.

„Fiete! Fiete! Wach auf!“, zirpte Kiki und schwirrte aufgeregt um Fietes Nase herum.

Fiete öffnete langsam ein Auge. „Was gibt’s, Kiki?“, murmelte er, seine Stimme klang, als käme sie aus einem tiefen Brunnen. „Ist der Dschungel in Brand geraten? Oder hat jemand alle Blätter geklaut?“

Kiki lachte. „Nein, Fiete! Viel besser! Heute ist das große Dschungel-Fest am Wasserfall! Alle Tiere sind schon da! Es gibt die leckersten Früchte, die tollsten Tänze und die buntesten Blumen, die du je gesehen hast! Komm, du musst mitkommen!“

Fietes Auge schloss sich wieder. „Ein Fest?“, gähnte er. „Klingt anstrengend. Ich glaube, ich bleibe hier und träume von Früchten. Das spart mir den Weg.“

„Aber Fiete!“, protestierte Kiki. „Du verpasst das Beste! Die Affen erzählen lustige Geschichten, die Schmetterlinge tanzen Polonaise und die kleinen Frösche singen ihre Abendlieder! Es ist wunderschön!“

Fiete seufzte. Er mochte Kiki wirklich, aber manchmal war dieser Kolibri einfach zu energiegeladen. „Klingt nach einer Menge Bewegung, Kiki. Du weißt doch, wie ich das hasse.“

Kiki gab nicht auf. „Ich wette, du hast noch nie eine wirklich reife Mango gegessen, Fiete! Am Fest gibt es die größten und süßesten!“

Mangos?… Fiete kniff die Augen zusammen. Die Mango war seine absolute Lieblingsfrucht. Der Gedanke daran ließ seinen Magen knurren, ein seltenes Ereignis. Aber der Weg zum Wasserfall! Das war eine halbe Tagesreise für ein Faultier!

„Ich… ich weiß nicht, Kiki“, sagte Fiete zögernd. „Der Weg ist so weit. Und ich bin so müde.“

Kiki hatte eine Idee. „Ich helfe dir! Ich schwirre vor dir her und zeige dir den Weg. Und wenn du müde wirst, kannst du dich an meinen Flügeln festhalten!“ Er wusste natürlich, dass das nicht ernst gemeint war, aber Kiki war ein wahrer Freund.

Fiete dachte nach. Ein Fest… ganz viel Mangos… Und Kiki, der ihn aufmunterte. Vielleicht… vielleicht war es ja doch eine gute Idee. Es war schon lange her, dass er seinen Kapokbaum verlassen hatte.

Mit einem tiefen, tiefen Seufzer und einer Anstrengung, die einem Marathonläufer zur Ehre gereicht hätte, begann Fiete, sich von seiner Astgabel zu lösen. Zentimeter für Zentimeter bewegte er sich. Kiki schwirrte um ihn herum und jubelte ihm zu.

„Das schaffst du, Fiete! Denk an die leckere Mango!“

Der Weg war für Fiete eine echte Herausforderung. Jeder Ast, jede Ranke, jeder Stamm, den er überwinden musste, war ein gigantisches Hindernis. Er traf auf neugierige Affen, die sich über seine Langsamkeit lustig machten, und auf majestätische Jaguare, die ihn mit einem müden Blick musterten und weiterzogen. Aber Fiete gab nicht auf. Er dachte an die leckere Mango, an die bunten Blumen und an Kiki, der ihn unermüdlich anfeuerte.

Nach gefühlten Ewigkeiten, als die Sonne schon begann, golden durch die Bäume zu leuchten, hörten sie das leise Rauschen des Wasserfalls. Fiete öffnete seine Augen ganz weit.

Und was er sah, raubte ihm den Atem.

Der Wasserfall stürzte in einem glitzernden Schleier in ein kristallklares Becken. Am Ufer tanzten Affen zu fröhlicher Musik, bunte Vögel sangen aus voller Kehle und auf riesigen Blättern waren die köstlichsten Früchte ausgebreitet, die Fiete je gesehen hatte. Und ja, da lagen sie: große, leckere und süße Mangos, die verlockend glänzten.

Alle Tiere jubelten, als sie Fiete sahen. „Fiete ist da! Das Faultier ist gekommen!“

Fiete war noch nie so viel Aufmerksamkeit zuteilgeworden. Er lächelte schüchtern. Mit einer letzten großen Anstrengung kletterte er zum Festplatz. Kiki schwirrte stolz neben ihm.

Die ersten paar Bissen von der Mango waren himmlisch. So saftig, so süß! Fiete vergaß für einen Moment seine Müdigkeit. Er sah den tanzenden Tieren zu, lauschte den Geschichten der Affen und fühlte sich… glücklich.

Er blieb nicht lange. Nach zwei Mangos und einem kurzen Blick auf die tanzenden Glühwürmchen spürte Fiete, wie die Müdigkeit ihn wieder übermannte. Aber es war eine glückliche Müdigkeit. Er hatte das Fest gesehen, die leckersten Früchte gegessen und seinen Freunden gezeigt, dass er, wenn es wirklich darauf ankam, auch mal aus seiner Hängematte konnte.

Kiki begleitete ihn auf dem Rückweg, und dieses Mal erzählte Fiete von den lustigen Tänzen der Affen und wie schön die Glühwürmchen waren. Als er schließlich wieder in seiner Kapokbaum-Gabelung ankam, gähnte er noch einmal herzhaft, aber dieses Mal war es ein Gähnen voller Zufriedenheit.

Fiete schlief ein und träumte von dem Fest, von der leckeren Mango und von einem kleinen, flinken Kolibri, der ihm geholfen hatte, die Welt außerhalb seiner Träume zu entdecken. Und manchmal, wenn er jetzt schlief, träumte er nicht nur vom Schlafen, sondern auch von den kleinen Abenteuern, die das Leben bereithielt, wenn man nur mutig genug war, ab und zu mal ein Auge zu öffnen.


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