Hopsi und das Geheimnis der verschwundenen Karotten

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In einem Tal, so grün und saftig, dass man meinte, die Welt sei aus Samt gemacht, lebte ein kleiner Hase namens Hopsi. Hopsi war kein gewöhnlicher Hase. Sein Fell glänzte in der Sonne wie polierter Bernstein, seine langen Ohren konnten das Flüstern des Windes verstehen und sein Näschen zuckte unaufhörlich, immer auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer. Aber vor allem hatte Hopsi eine riesige Leidenschaft: Karotten. Knackig, süß und leuchtend orange mussten sie sein.

Und die allerbesten Karotten im ganzen Tal, ja im ganzen Land, wuchsen auf dem Feld von Bauer Johann. Bauer Johann war ein stattlicher Mann mit einem runden Bauch, einem freundlichen Gesicht voller Lachfalten und Händen, die von der vielen Arbeit in der Erde gezeichnet waren. Er liebte seine Karotten über alles. Jeden Morgen, noch bevor der erste Sonnenstrahl über die Hügel blinzelte, war er schon auf seinem Feld. Er lockerte die Erde, flüsterte seinen Pflänzchen ermutigende Worte zu und sorgte dafür, dass kein einziges Unkraut es wagte, seinen Schützlingen das Wasser streitig zu machen. Sein Karottenfeld war sein ganzer Stolz, ein perfektes, gerades Meer aus federleichtem Grün, unter dem die orangefarbenen Schätze schlummerten.

Hopsi beobachtete dieses Schauspiel jeden Tag von seinem gemütlichen Bau am Waldrand aus. Der köstliche Duft der reifenden Karotten zog wie ein unsichtbares Band zu ihm herüber und ließ ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen. Er träumte nachts von knackenden Geräuschen und süßem Geschmack. Eines Tages, als die Karotten so verlockend in der Erde steckten und ihr Grün kräftig in den Himmel ragte, fasste Hopsi einen kühnen Entschluss.

„Ich muss an diese Karotten kommen“, sagte er sich. Aber wie? Das Feld war von einem stabilen Zaun umgeben, und Bauer Johann hatte Augen wie ein Adler. Ein direkter Angriff bei Tag war unmöglich. Hopsi dachte nach, seine lange Nase wackelte dabei auf und ab. Wenn der Weg über der Erde versperrt war, musste er eben einen Weg unter der Erde finden!

Ein brillanter, ein wahrhaft hasenhafter Plan nahm in seinem Kopf Gestalt an. Er würde einen geheimen Tunnel graben! Ein unterirdischer Gang, der direkt von seinem Bau bis ins Herz des Karottenfeldes führte.

Mit Feuereifer machte sich Hopsi an die Arbeit. Seine kräftigen Vorderpfoten scharrten und gruben, dass die Erde nur so spritzte. Er arbeitete unermüdlich, grub tiefer und tiefer in das dunkle, kühle Erdreich. Der Duft der Karotten wurde mit jedem Zentimeter, den er vorankam, intensiver und leitete ihn wie ein Kompass. Es war harte Arbeit, aber die Vorfreude auf die saftige Belohnung gab ihm unendliche Kraft.

Nach vielen Tagen des Schaufelns und Buddelns spürte er, dass die Erde über ihm lockerer wurde. Ganz vorsichtig grub er das letzte Stück frei und steckte neugierig seine Nase hindurch. Er war da! Direkt unter dem prächtigen Karottenbeet. Über ihm wiegte sich das grüne Laub im Wind, aber das, was zählte, die orangefarbenen Wurzeln, steckten zum Greifen nah vor ihm in der Erde.

Hopsi konnte sein Glück kaum fassen. Leise kichernd packte er die erste Karotte an ihrer Spitze. Er zog einmal kräftig und – plopp! – verschwand die Karotte lautlos im Boden, als hätte die Erde sie einfach verschluckt. Hopsi zog sie ganz in seinen Tunnel, klopfte die Erde ab und biss herzhaft hinein. Welch ein Genuss! Süßer als Honig, saftiger als der frischeste Apfel.

Am nächsten Morgen traute Bauer Johann seinen Augen nicht. Er ging wie immer seine Reihen ab, als er plötzlich innehielt. Mitten in der schönsten Reihe klaffte ein Loch. Das Karottengrün lag welk daneben, aber von der Karotte selbst fehlte jede Spur. „Seltsam“, murmelte der Bauer. „Vielleicht ein Reh, das sich über den Zaun getraut hat?“ Kopfschüttelnd ging er weiter seiner Arbeit nach.

Doch am folgenden Tag war der Schreck noch größer. Es fehlten nicht nur eine, sondern gleich fünf Karotten! An ihrer Stelle waren nur noch kleine, ordentliche Löcher. Panik stieg in Bauer Johann auf. Er untersuchte den Zaun, suchte den Boden nach Spuren ab, aber er fand nichts. Keine Fußabdrücke, keine angenagten Blätter. Es war, als hätten sich seine geliebten Karotten einfach in Luft aufgelöst.

Hopsi amüsierte sich derweil köstlich in seinem unterirdischen Reich. Jeden Tag schlich er durch seinen Geheimgang und erntete eine Karotte nach der anderen. Plopp! Plopp! Plopp! Eine nach der anderen verschwand vom Feld und landete in seinem Bau, der sich langsam in eine beeindruckende Vorratskammer verwandelte.

Bauer Johann wurde immer verzweifelter. Sein einst perfektes Feld sah aus wie ein Schweizer Käse. Jeden Tag wurden die Lücken größer. Er wusste sich nicht mehr zu helfen. Nachts legte er sich mit einer Decke auf die Lauer, doch er sah und hörte nichts. Er stellte eine grimmig dreinblickende Vogelscheuche auf, die er „Karotten-Karl“ nannte, aber auch das half nicht. Die Karotten verschwanden weiter.

„Es spukt!“, rief er eines Tages verzweifelt und warf seine Mütze auf den Boden. „Ein Karottengeist treibt sein Unwesen auf meinem Feld!“

Tief unter der Erde hörte Hopsi das Poltern des Bauern und musste schmunzeln. Ein Karottengeist? Welch eine lustige Vorstellung! Er war kein Geist, er war nur ein sehr, sehr schlauer Hase mit einem sehr, sehr großen Appetit.

Die Wochen zogen ins Land und das traurige Schauspiel auf dem Feld ging weiter. Von dem einst prächtigen Karottenmeer war nur noch eine kleine Insel übrig geblieben. Bauer Johann war am Boden zerstört. Sein fröhliches Pfeifen bei der Arbeit war längst einem tiefen Seufzen gewichen.

Schließlich war nur noch eine einzige Karotte übrig. Aber was für eine! Sie war die größte, die geradeste und die orangefarbenste Karotte, die man sich nur vorstellen konnte. Sie war die Königin aller Karotten, der ganze Stolz von Bauer Johann. „Diese eine!“, schwor er sich mit zusammengebissenen Zähnen. „Diese eine bekommt der Geist nicht!“ Er stellte einen Stuhl direkt neben die Königskarotte, bewaffnete sich mit einer alten Gießkanne und beschloss, die ganze Nacht Wache zu halten.

Hopsi wusste, dass dies das große Finale war. Er konnte den Bauern über sich auf seinem Stuhl hin- und herrutschen hören. Ganz leise und behutsam grub er sich direkt unter die majestätische Karotte. Er wartete geduldig, bis die Nacht still wurde und er das leise, regelmäßige Schnarchen des eingeschlafenen Bauern hörte.

Jetzt oder nie! Hopsi packte die riesige Wurzel mit beiden Pfoten. Er stemmte seine Füße gegen die Tunnelwand und zog mit all seiner Hasenkraft. Es gab ein lautes, schmatzendes PLOPP, so laut, dass Bauer Johann aus seinem Nickerchen hochfuhr.

Er starrte auf die Stelle, wo eben noch seine prächtige Königskarotte gestanden hatte. Dort war jetzt nur noch ein tiefes, schwarzes Loch. Die Karotte war weg. Spurlos verschwunden, als hätte die Erde sie hungrig verschlungen. Bauer Johann rieb sich die Augen, doch das Loch blieb. Besiegt ließ er die Gießkanne fallen und starrte fassungslos auf sein komplett leeres Feld. Der Karottengeist hatte gewonnen.

Tief in seinem Bau schleppte Hopsi stolz seine Trophäe. Er hatte es geschafft! Er hatte nun einen riesigen Vorrat für den ganzen langen Winter. Als die ersten Schneeflocken vom Himmel tanzten, saß Hopsi gemütlich und pappsatt in seiner warmen Höhle, knabberte an der riesigen Königskarotte und dachte, dass dies der beste Herbst seines Lebens war.

Und Bauer Johann? Nachdem sein erster Schock verflogen war, musste er widerwillig lächeln. Wer auch immer seine Karotten geholt hatte, musste ein unglaublich cleverer Dieb sein. Und während er für das nächste Jahr schon ein neues, noch besseres und noch besser bewachtes Karottenfeld plante, ahnte er nicht, dass ein kleiner Hase unter der Erde schon von neuen, listigen Plänen träumte.


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