Kurt, der kleine Kutter-Kapitän

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An der Küste, wo die Wellen lustige weiße Schaumkronen tragen und die Luft immer ein bisschen nach Salz und Abenteuer riecht, lebte eine Möwe namens Kurt. Kurt war eine ganz besondere Möwe. Während die anderen Möwen ihre Tage damit verbrachten, sich lautstark um heruntergefallene Pommes zu zanken oder auf den Dächern zu dösen, hatte Kurt ein Geheimnis. Ein tuckerndes, nach Fisch und weiter See duftendes Geheimnis.

Sein Geheimnis hieß „Klaus, der Krabbenkutter“.

Jeden Morgen, noch bevor die Sonne den Sand am Strand aufgewärmt hatte, saß Kurt auf seinem Lieblingspoller am Hafen. Von hier aus hatte er den allerbesten Blick. Er sah zu, wie die Fischer mit ihren dicken Pullovern und Gummistiefeln an Bord ihrer Boote kletterten. Er hörte das Knarren der Seile und das leise Plätschern des Wassers gegen die Schiffswände. Aber er wartete nur auf ein einziges Geräusch: das vertraute Tuck-tuck-tuck von Klaus, dem Krabbenkutter.

Klaus war kein schickes Schiff. Seine Farbe war an manchen Stellen vom Salzwasser schon ein wenig abgeblättert und er schaukelte gemütlich in den Wellen. Aber für Kurt war Klaus das schönste Schiff der ganzen Welt. Denn auf Klaus fuhr der Fischer Jan. Jan hatte ein Gesicht, so wettergegerbt wie ein alter Lederstiefel, und Augen, die so blau waren wie der Sommerhimmel. Und Jan hatte immer ein Lächeln für die Möwen übrig.

Eines Tages, als das erste Morgenlicht den Himmel in zartes Rosa tauchte, fasste Kurt einen mutigen Entschluss. „Heute“, krächzte er leise zu sich selbst, „heute schaue ich nicht nur zu. Heute fliege ich mit!“

Sein kleines Möwenherz klopfte aufgeregt, als Jan den Motor von Klaus startete. Ein tiefes, zufriedenes Brummen erfüllte den Hafen. Langsam, ganz langsam, löste sich der Kutter von der Kaimauer und machte sich auf den Weg zur Hafenausfahrt. Das war Kurts Moment! Mit ein paar kräftigen Flügelschlägen schwang er sich in die Luft.

„Auf Wiedersehen, langweiliger Poller!“, rief er im Flug. „Das Meer ruft!“

Er folgte dem Kutter hinaus auf die offene See. Zuerst war es ein bisschen unheimlich. Der Hafen wurde immer kleiner und kleiner, bis er nur noch ein bunter Klecks am Horizont war. Um ihn herum war nur noch das unendlich weite, glitzernde Wasser. Die Luft schmeckte hier draußen noch salziger, noch frischer. Kurt atmete tief ein. Das war Freiheit!

Er umkreiste den Kutter in eleganten Bögen. Er sah Jan dabei zu, wie er geschickt die großen, schweren Netze ins Wasser ließ. Es sah aus, als würde der Kutter einen riesigen, gewebten Drachenschwanz hinter sich herziehen. Stundenlang fuhren sie so über das Meer. Kurt unterhielt sich mit dem Wind, machte Wettflüge mit den Wellenkämmen und beobachtete, wie kleine, silberne Fische unter ihm durch das klare Wasser blitzten.

Dann kam der aufregendste Moment. Jan holte die Netze wieder ein. Ein alter Kran an Bord ächzte und quietschte, als er die schwere Last aus der Tiefe hob. Und was war da alles drin! Zappelnde Fische, ein paar seilige Algen, eine verirrte Muschel und – das Allerbeste – hunderte von kleinen, braunen Krabben.

Sobald die Krabben an Deck waren, machte Jan etwas Wunderbares. Er warf einen großen Kocher an und schon bald stieg ein köstlicher Duft in den Himmel. Es roch so lecker, dass Kurts Magen laut knurrte. Er flog ein bisschen tiefer und ließ sich vom Wind direkt über dem Kutter treiben.

Jan hatte seinen gefiederten Begleiter längst bemerkt. „Na, du kleiner Seemann?“, rief er lachend nach oben. „Hast du auch Appetit bekommen?“

Jan, der ein gutes Herz hatte, nahm eine der frisch gekochten, noch warmen Krabben, pulte sie blitzschnell mit seinen geübten Fingern und warf das saftige Fleisch hoch in die Luft.

Kurt zögerte keine Sekunde. Mit einem pfeilschnellen Sturzflug, so elegant wie ein Zirkusartist, schnappte er sich den Leckerbissen direkt aus der Luft. Mmmh! Die Krabbe war noch warm und schmeckte nach Meer und Freundschaft. Es war die beste Krabbe, die Kurt je in seinem Leben gegessen hatte.

Von diesem Tag an war Kurt nicht mehr nur Kurt, die Möwe. Er war Kurt, der Kutter-Begleiter. Jeden Morgen flog er mit Klaus und Jan hinaus, leistete ihnen Gesellschaft und bekam als Belohnung seine eigene, frisch gepulte Krabbe. Er wurde Jans persönlicher Ausguck. Wenn er in der Ferne eine dicke Regenwolke sah, umkreiste er den Kutter dreimal und krächzte laut, und Jan wusste Bescheid.

Wenn am Nachmittag die Fangkörbe voll waren und Klaus, der Krabbenkutter, sich langsam auf den Heimweg machte, flog Kurt stolz voraus. Er war der Bote, der den anderen im Hafen zurief: „Sie kommen! Jan und Klaus kommen wieder!“

Müde, aber unendlich glücklich landete er dann auf seinem alten Poller. Er beobachtete, wie Jan anlegte, die vollen Kisten von Bord trug und ihm zum Abschied noch einmal zuzwinkerte.

Während die Sonne wie ein großer, oranger Ball im Meer versank, putzte Kurt sein Gefieder. Er war satt, zufrieden und voller schöner Erinnerungen an den Tag. Und das Beste war: Er wusste, dass er morgen wieder aufstehen und mit seinem Freund Jan und dem besten Schiff der Welt, Klaus dem Krabbenkutter, auf große Fahrt gehen würde. Denn er war jetzt nicht mehr nur eine Möwe – er war ein echter Kutter-Kapitän.


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