Die Fischers und die Nacht des bebenden Besens

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In einem alten Haus am Rande der kleinen Stadt Auenhain, umgeben von knorrigen Eichen und einem Garten, der selbst im Sommer ein wenig wild und geheimnisvoll aussah, lebte die Familie Fischer. Und wenn es eine Sache gab, die die Fischers mehr liebten als alles andere auf der Welt, dann war es Halloween.

Für die meisten Leute war Halloween ein Tag im Jahr. Für die Fischers war es eine ganze Jahreszeit. Sobald die ersten Blätter von den Bäumen fielen und die Luft nach feuchter Erde und kühlem Wind roch, begannen bei ihnen die Vorbereitungen.

Da war Papa Arthur, ein Mann mit einem Lachen so laut wie ein freundlicher Donnerschlag und Händen, die aus allem, was er fand, die unglaublichsten Dinge bauen konnten. Schon im September sah man ihn in seiner Werkstatt hämmern und sägen. Er baute sprechende Vogelscheuchen, Särge, aus denen auf Knopfdruck eine freundlich winkende Skeletthand erschien, und seine berühmte Nebelmaschine „Nebel-Norbert“, die den gesamten Vorgarten in einen undurchdringlichen, milchigen Schleier hüllen konnte.

Mama Flora war die Künstlerin der Familie. Sie hatte ein Händchen für die feinen, unheimlichen Details. Sie kochte in einem großen, schwarzen Topf den köstlichsten Kürbiseintopf der Welt, der aber dank Lebensmittelfarbe aussah wie blubbernder Hexenschleim. Sie backte Kekse in Form von Spinnen, deren Beine aus Lakritz bestanden, und mixte leuchtend grüne und rote „Zaubertränke“, die eigentlich nur Limonade mit ein paar Gummifröschen darin waren. Ihre größte Leidenschaft aber waren die Spinnweben. Sie konnte aus Watte und einem speziellen Kleber so realistische Spinnweben zaubern, dass echte Spinnen neidisch wurden und versuchten, bei ihr in die Lehre zu gehen.

Dann waren da die Kinder, der zehnjährige Leo und die achtjährige Mia. Leo war der Meister der Schreckmomente. Er übte wochenlang sein kehliges „HUUUU!“, versteckte sich hinter Türen und perfektionierte den „Zombie-Gang“, bei dem er so überzeugend schlurfte und stöhnte, dass er einmal fast den Postboten erschreckt hätte.

Mia hingegen liebte die Magie von Halloween. Sie war die Hüterin der Kürbisse. Jedes Jahr suchte sie die rundesten und orangefarbensten Kürbisse aus. Sie gab jedem einen Namen – Bertram, Kunigunde, Friedrich – und schnitzte ihnen keine gruseligen, sondern lustige und freundliche Gesichter. Sie war fest davon überzeugt, dass ihre Kürbisse in der Halloween-Nacht zum Leben erwachten und über das Haus wachten.

In diesem Jahr hatten sich die Fischers selbst übertroffen. Schon eine Woche vor dem 31. Oktober war ihr Haus nicht wiederzuerkennen. Aus dem Schornstein ragte ein riesiger, selbstgebauter Drachenkopf, aus dessen Nüstern roter Rauch aufstieg. Die Fenster waren mit leuchtender Farbe bemalt, sodass es aussah, als würden riesige Augen die Straße beobachten. Im Vorgarten tanzten Geister aus weißen Laken im Wind, die an Angelsehnen befestigt waren, und aus einem Lautsprecher im Gebüsch ertönten leise, unheimliche Melodien, gemischt mit dem gelegentlichen Heulen eines Wolfes.

Die Kinder aus der Nachbarschaft liebten das Haus der Fischers. Es war die Hauptattraktion an Halloween. Dieses Jahr hatten Leo und Mia ihre drei besten Freunde, Max, Sophie und Tom, zu einer ganz besonderen „Geister-Tour“ durch ihr Haus eingeladen, bevor all die anderen Kinder zum Süßigkeiten-Sammeln kommen würden.

Max war der Mutigste der Gruppe. „Pah, Gruseln“, pflegte er zu sagen, „mich erschreckt gar nichts!“ Sophie war das genaue Gegenteil. Sie liebte Halloween, aber sie erschrak schon, wenn ein Toast zu schnell aus dem Toaster sprang. Tom war der stille Beobachter. Er sprach nicht viel, aber ihm entging kein einziges Detail.

Als die drei Freunde am Halloween-Abend vor dem Tor der Fischers standen, blieb ihnen der Mund offen stehen. Papa Arthurs „Nebel-Norbert“ lief auf Hochtouren und der Garten war in dichten, wabernden Nebel getaucht, aus dem Mias leuchtende Kürbisse wie orangefarbene Monde schienen. Ein künstlicher Blitz zuckte über das Dach, gefolgt von einem tiefen Grollen.

Die Tür quietschte und öffnete sich von allein. Im Türrahmen stand die ganze Familie Fischer in ihren Kostümen. Papa Arthur war ein verrückter Professor mit wild abstehenden Haaren und einer Schutzbrille. Mama Flora war eine elegante Hexe mit einem spitzen Hut und einem Umhang, der mit Sternen bestickt war. Leo war ein täuschend echter Vampir mit einem langen, schwarzen Mantel, und Mia war ein kleiner, fröhlicher Geist, der unter seinem Laken kicherte.

„Willkommen, ihr Sterblichen!“, dröhnte Papa Arthur mit verstellter Stimme. „Wagt ihr es, den Pfad des Schreckens zu betreten?“

Max verdrehte die Augen, aber Sophie klammerte sich schon an Toms Arm.

Leo trat vor. „Folgt mir“, flüsterte er verschwörerisch. „Aber passt auf, wo ihr hintretet. Die Bodendielen… sie leben!“

Die Kinder betraten den Flur. Er war von oben bis unten mit Mama Floras meisterhaften Spinnweben bedeckt. An den Wänden hingen Porträts von finster dreinblickenden Vorfahren, deren Augen ihnen zu folgen schienen. Als Sophie neugierig ein Porträt berührte, rasselten plötzlich Ketten aus einer Ecke und ein leises Stöhnen war zu hören. Sophie quietschte auf, aber Max lachte nur. „Ein Lautsprecher, ganz klar!“

Der erste Raum war das „Labor des verrückten Professors“. Papa Arthur stand hinter einem Tisch, auf dem es brodelte und zischte. Bunte Flüssigkeiten blubberten in Reagenzgläsern und ein großer Glaskolben auf einem Brenner stieß grüne Dampfwolken aus. „Probiert meinen Schrumpftrank!“, bot er an und reichte ihnen Becher mit dem grünen „Zaubertrank“ von Mama Flora. Er schmeckte herrlich nach Waldmeister.

Der nächste Raum war die „Küche der Hexe“. Mama Flora rührte in ihrem großen Kessel, aus dem es nach Zimt und Äpfeln duftete. „Ein Löffel Spinnenbein, eine Prise Fledermausflügel…“, murmelte sie und zwinkerte den Kindern zu. Sie gab jedem einen Keks in Spinnenform und einen Apfel, der in rotem Zuckerguss getaucht war und aussah wie ein blutendes Herz.

Bisher fand Max alles ziemlich lustig, aber nicht wirklich gruselig. „Kommt jetzt noch was Echtes?“, fragte er Leo.

Leo lächelte geheimnisvoll. „Oh, das Beste kommt erst noch. Wir nennen es… die Kammer des bebenden Besens. Sie ist unten. Im Keller.“

Schon das Wort „Keller“ ließ Sophie schaudern. Papa Arthur öffnete eine schwere Holztür, hinter der eine steile, knarrende Treppe in die Dunkelheit führte. Kalte, feuchte Luft schlug ihnen entgegen.

„Nach euch“, sagte Leo und grinste mit seinen Vampirzähnen.

Zögernd stiegen die drei Freunde die Treppe hinab. Jeder Schritt ließ das alte Holz ächzen und stöhnen. Unten war es stockdunkel. Nur eine einzige, flackernde Glühbirne baumelte von der Decke und warf lange, tanzende Schatten.

„Hallo?“, flüsterte Tom in die Stille.

Plötzlich schlug die Tür hinter ihnen mit einem lauten Knall zu. Sophie schrie auf. Max zuckte zusammen, sagte aber schnell: „Das war nur der Wind.“ Aber es gab keinen Wind im Keller.

Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Der Keller war größer als sie dachten. Er war ein Labyrinth aus alten Regalen, die mit weißen Tüchern verhängt waren und aussahen wie riesige, schlafende Gestalten. Aus einer Ecke tropfte es rhythmisch: Plock… Plock… Plock.

„Okay, Fischers, sehr witzig!“, rief Max, aber seine Stimme klang nicht mehr ganz so selbstsicher.

Plötzlich hörten sie ein Geräusch. Es war ein leises Kratzen, das aus der hintersten Ecke des Kellers zu kommen schien. Es klang, als würde jemand mit seinen Fingernägeln über den Betonboden kratzen.

Kratz… Kratz… Kratz…

„Was… was war das?“, wimmerte Sophie.

Selbst Max war jetzt still. Er starrte in die Dunkelheit, seine Augen weit aufgerissen. Das Kratzen wurde lauter und kam näher.

Dann hörten sie noch etwas. Ein leises, schleifendes Geräusch. Als würde jemand einen schweren Sack hinter sich herziehen. Ein Schatten huschte hinter einem der verhängten Regale vorbei. Er war groß und unförmig.

„Da!“, zischte Tom und zeigte mit zitterndem Finger in die Richtung.

Das Kratzen hörte auf. Stille. Eine unheimliche, drückende Stille. Das einzige Geräusch war das Pochen ihrer eigenen Herzen und das ewige Tropfen des Wassers.

Plock… Plock… Plock…

Und dann, direkt hinter ihnen, ertönte ein lautes, kehliges Ächzen. „W…e…r… w…a…g…t… e…s…?“

Alle drei wirbelten gleichzeitig herum. Nichts. Nur die kalte Steinwand.

„Ich will hier raus!“, schluchzte Sophie.

Plötzlich begann in der Mitte des Raumes ein alter Besen, der an der Wand lehnte, von selbst zu wackeln. Erst leicht, dann immer stärker. Er bebte und zitterte, als wäre er von einer unsichtbaren Hand ergriffen. Er hob sich langsam vom Boden ab, schwebte für einen Moment in der Luft und fiel dann mit einem lauten Scheppern zu Boden.

Das war zu viel. Max, der Junge, den nichts erschrecken konnte, stieß einen Schrei aus, der lauter war als Sophies. Die drei Freunde drängten sich aneinander, Rücken an Rücken, und starrten in die Dunkelheit, aus der jeden Moment etwas Entsetzliches hervorspringen konnte.

Das schleifende Geräusch kam wieder, diesmal direkt vor ihnen. Eine große, dunkle Gestalt löste sich aus den Schatten. Sie war riesig, bucklig und schien keine Arme, aber dafür lange, knochige Finger zu haben, die über den Boden kratzten. Sie kam langsam, unaufhaltsam auf sie zu.

Die Kinder schrien aus vollem Halse. Sie hielten sich die Augen zu, fest davon überzeugt, dass dies das Ende war. Sie würden von einem Keller-Monster gefressen werden!

In diesem Moment ging das Licht an. Helles, warmes Licht flutete den Raum.

Die Kinder blinzelten. Vor ihnen stand kein Monster. Vor ihnen stand Papa Arthur, der auf dem Rücken einen riesigen Rucksack trug, aus dem ein alter Mantel hing, was ihn bucklig aussehen ließ. In seinen Händen hielt er zwei lange Gartenharken, mit denen er das kratzende Geräusch gemacht hatte. Neben ihm stand Leo, der einen kleinen Lautsprecher in der Hand hielt, aus dem immer noch ein leises Ächzen kam. Und an der Wand, neben dem umgefallenen Besen, saß die kleine Mia mit einer durchsichtigen Angelsehne in der Hand und kicherte.

Der Keller war immer noch ein Keller, aber er war nicht mehr unheimlich. Die verhängten Regale waren voller alter Marmeladengläser und Werkzeuge. Das Tropfen kam von einem undichten Wasserhahn.

Für einen Moment war es still. Max, Sophie und Tom starrten die Fischers mit großen Augen an. Dann brach Max in lautes Lachen aus. „Okay, okay, ihr habt gewonnen!“, prustete er. „Der bebende Besen… das war genial!“

Sophie wischte sich eine Träne vom Gesicht, die halb aus Angst und halb aus Lachen bestand. „Ich dachte wirklich, wir werden von einem Besen-Geist verhext!“

Papa Arthur nahm seine Brille ab und grinste von einem Ohr zum anderen. „Das, meine lieben Freunde, war die Premiere unserer neuesten Erfindung: dem Grusel-o-Mat 5000!“

Alle gingen lachend die Treppe wieder hoch, wo Mama Flora schon mit heißem Kakao und Kürbismuffins wartete. Die drei Freunde erzählten aufgeregt von ihrem Erlebnis. Sie waren sich einig: Es war der beste und lustigste Schrecken ihres Lebens. Sie hatten sich wirklich gefürchtet, aber es war eine Angst, die Spaß machte, wie eine Achterbahnfahrt im Dunkeln.

Als kurz darauf die ersten Kinder aus der Nachbarschaft an der Tür klingelten und „Süßes oder Saures!“ riefen, standen Max, Sophie und Tom neben den Fischers und halfen, die Süßigkeiten zu verteilen. Und jedes Mal, wenn ein neues Kind ehrfürchtig das Gruselhaus bestaunte, zwinkerten sie sich zu, denn sie kannten das Geheimnis der Kammer des bebenden Besens. Sie wussten, dass die wahre Magie von Halloween nicht in echten Geistern lag, sondern in der Fantasie, der Freude am Erschrecken und dem Glück, all das mit der Familie und guten Freunden zu teilen. Und in dieser Hinsicht war die Familie Fischer die magischste Familie auf der ganzen Welt.


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