Himmelsstürmer und der Traum vom höchsten Sprung

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Laura liebte Pferde über alles auf der Welt, aber besonders liebte sie Himmelsstürmer. Himmelsstürmer war kein gewöhnliches Pferd. Er war ein großer, kastanienbrauner Wallach mit einer glänzenden Mähne und einem Schweif, der im Sonnenlicht wie flüssiges Gold aussah. Aber das Besondere an Himmelsstürmer war nicht sein Aussehen. Es war seine Gabe. Himmelsstürmer konnte springen. Nicht nur hoch springen. Er konnte unglaublich hoch springen, so hoch, dass es manchmal schien, als würde er für einen Moment den Himmel berühren.

Laura war erst zehn Jahre alt, aber sie verbrachte jede freie Minute bei Himmelsstürmer auf dem Hof. Seit sie denken konnte, ritten die beiden zusammen. Sie hatten eine ganz besondere Verbindung. Laura verstand Himmelsstürmer, auch ohne Worte. Und Himmelsstürmer vertraute Laura blind.

Eines Tages, als sie auf dem Reitplatz trainierten, geschah etwas Unglaubliches. Sie übten über ein kleines Kreuz zu springen, dann über einen Oxer, der schon ein bisschen höher war. Laura spürte, wie Himmelsstürmer bei jedem Sprung kraftvoller wurde. Seine Ohren zuckten nach vorne, seine Augen funkelten vor Freude.

„Gut gemacht, mein Lieber!“, rief Laura und klopfte ihm auf den Hals. „Noch ein bisschen höher, was meinst du?“

Ihr Reitlehrer, Herr Müller, ein alter, erfahrener Pferdemann mit einem Schnurrbart, der aussah wie zwei buschige Wölkchen, hatte die Hindernisse immer höher gestellt, als sie dachten, dass Himmelsstürmer es schaffen könnte. Aber Himmelsstürmer schaffte es immer. Mit Leichtigkeit.

Heute war Herr Müller jedoch abwesend. Laura und Himmelsstürmer waren allein auf dem Platz. Laura, ermutigt durch Himmelsstürmers Begeisterung, begann, die Hindernisse selbst höher zu bauen. Sie stapelte zwei Stangen übereinander, dann drei, dann vier. Es wurde ein gewaltiges Hindernis, höher als Laura selbst. Sie sah es an und ihr wurde ein bisschen mulmig. „Das ist wirklich hoch, Himmelsstürmer“, sagte sie leise. „Sollen wir es versuchen?“

Himmelsstürmer scharrte mit dem Huf. Er schien aufgeregter zu sein als je zuvor. Er blickte zu dem Hindernis auf, als wäre es eine Einladung zum Tanz.

Laura nahm allen Mut zusammen. „Okay, mein Freund“, sagte sie. „Wir schaffen das. Zusammen.“

Sie ritt ihn im Galopp an. Himmelsstürmer lief kraftvoll, seine Muskeln spannten sich. Kurz vor dem Hindernis, genau im richtigen Moment, als Laura leise „Hopp!“ rief, stieß sich Himmelsstürmer vom Boden ab. Und wie er das tat! Es war kein normaler Sprung. Er schien sich in die Luft zu erheben, höher und höher, als würde er fliegen. Seine Beine zogen sich elegant unter seinem Bauch zusammen, sein Hals streckte sich nach vorne. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Laura sah über das Hindernis hinweg und für einen kurzen Augenblick schien sie die Wolken zu sehen.

Dann landeten sie sanft auf der anderen Seite. Perfekt. Ohne eine einzige Stange zu berühren.

Laura lachte laut auf, ein reines, glückliches Lachen. „Himmelsstürmer! Du bist unglaublich! Du bist ein Himmelsstürmer!“

Von diesem Tag an nannten sie ihn alle „Himmelsstürmer“. Und Laura wusste, dass sie ein ganz besonderes Pferd hatte. Ein Pferd, das dafür geboren war, die höchsten Hindernisse zu überwinden.

Herr Müller war fassungslos, als Laura ihm von dem Sprung erzählte. Er ließ sie das Hindernis noch einmal aufbauen, und Himmelsstürmer sprang wieder. Mit der gleichen Leichtigkeit. Herr Müller schüttelte den Kopf. „So etwas habe ich in all meinen Jahren noch nicht gesehen, Laura. Dieses Pferd… dieses Pferd ist ein Wunder.“

Die Nachricht von Himmelsstürmers Sprungkraft verbreitete sich schnell auf dem Hof. Bald kamen andere Reiter und Reitlehrer, um dieses außergewöhnliche Pferd zu sehen. Sie alle staunten.

Doch nicht alle waren begeistert. Der Stallbesitzer, Herr Gruber, war ein strenger Mann. Er sah in Himmelsstürmer nicht nur ein Wunder, sondern auch eine Chance. Eine Chance auf Ruhm und Geld. Er sprach von großen Turnieren, von Meisterschaften.

Laura aber ging es nicht um Ruhm. Sie liebte Himmelsstürmer einfach. Und sie liebte es, mit ihm zu springen. Die Freude, die Leichtigkeit, das Gefühl des Fliegens – das war alles, was zählte.

Eines Tages kam Herr Gruber zu Laura und Herr Müller. „Hört zu“, sagte er. „Ich habe uns für das große Springturnier in Königsfeld angemeldet. Es ist das wichtigste Turnier des Jahres. Wenn Himmelsstürmer dort gewinnt, sind wir berühmt. Und reich.“

Laura bekam große Augen. Das Turnier in Königsfeld! Sie hatte davon gehört. Es war bekannt für seine unglaublich hohen und schwierigen Hindernisse. Nur die besten Reiter mit den besten Pferden traten dort an. „Aber Herr Gruber… das ist doch viel zu schwer für uns“, sagte Laura leise. Sie war noch nie bei einem so großen Turnier gestartet.

„Unsinn!“, schnaubte Herr Gruber. „Mit Himmelsstürmer an deiner Seite gibt es nichts, was ihr nicht schaffen könnt. Er ist der Beste! Und du bist seine Reiterin. Ihr werdet trainieren, bis ihr perfekt seid.“

Von diesem Tag an begannen die Vorbereitungen für das Turnier. Es war hartes Training. Jeden Tag übten Laura und Himmelsstürmer. Sie sprangen über noch höhere Hindernisse, über Wassergräben, über schmale Mauern. Manchmal war Laura müde, ihre Beine schmerzten. Aber immer, wenn sie in Himmelsstürmers Augen blickte, sah sie seinen Kampfgeist. Er liebte das Springen genauso sehr wie sie.

Manchmal kamen Zweifel auf. Die anderen Reiter beim Training waren alle älter und erfahrener als Laura. Sie hatten teure Ausrüstung und schicke Turnierjacken. Laura hatte ihre alte Reithose und eine Reitkappe, die schon ein paar Dellen hatte. Sie fühlte sich klein und unerfahren.

„Ich weiß nicht, ob ich das schaffe, Herr Müller“, sagte sie eines Nachmittags. „Die anderen sind so gut. Und was, wenn Himmelsstürmer doch mal ein Hindernis reißt?“

Herr Müller lächelte warm. „Laura, du und Himmelsstürmer, ihr habt etwas ganz Besonderes. Ein Herz. Und ihr vertraut einander. Das ist viel mehr wert als jede schicke Jacke oder die teuerste Ausrüstung. Himmelsstürmer wird springen, solange du ihm sagst, dass er es kann. Er spürt dein Vertrauen.“

Und so trainierten sie weiter. Tag für Tag. Sie wurden ein unschlagbares Team. Himmelsstürmer schien zu wissen, was Laura dachte, noch bevor sie es dachte. Und Laura spürte jede Bewegung ihres Pferdes.

Endlich kam der Tag des Turniers. Laura war so aufgeregt, dass ihr Bauch kribbelte wie ein ganzer Ameisenhaufen. Der Turnierplatz war riesig. Überall waren Menschen, Stände mit Essen und Getränken, und natürlich unzählige Pferde und Reiter. Die Luft war erfüllt vom Hufgetrappel, dem Wiehern der Pferde und dem Gemurmel der Zuschauer.

Als sie Himmelsstürmer aus dem Anhänger holte, spürte Laura seine Nervosität. Er schnaubte und tänzelte. Sie streichelte seinen Hals. „Keine Sorge, mein Lieber“, flüsterte sie. „Wir schaffen das. Zusammen.“

Herr Müller war da, um ihr Mut zu machen. Und selbst Herr Gruber, der sonst so mürrisch war, klopfte ihr auf die Schulter. „Zeig ihnen, was ihr könnt, Laura!“, sagte er.

Der Parcours war beeindruckend. Die Hindernisse waren riesig. Eine hohe Mauer, ein breiter Wassergraben, ein dreifacher Oxer, dessen Stangen bis in den Himmel ragten. Laura schluckte. Das war der höchste Parcours, den sie je gesehen hatte.

Sie ritten den Parcours ab, schaute sich jeden Sprung genau an. Herr Müller gab ihr letzte Anweisungen. „Bleib ruhig, Laura. Denk an deine Hilfen. Und vertrau Himmelsstürmer. Er wird es wissen.“

Dann war es soweit. „Nächster Starter: Laura mit Himmelsstürmer!“, rief der Sprecher.

Laura spürte, wie ihr Herz bis zum Hals schlug. Sie ritt in den Parcours. Die Menge war still. Alle Augen waren auf sie und Himmelsstürmer gerichtet.

Sie trabten an, dann galoppierten sie. Der erste Sprung, ein einfacher Oxer. Himmelsstürmer nahm ihn mit Leichtigkeit. Perfekt. Der zweite Sprung, eine bunte Mauer. Wieder perfekt. Hindernis um Hindernis überwanden sie. Laura spürte, wie Himmelsstürmer bei jedem Sprung sicherer wurde. Sie wurden eins. Ihre Angst wich einer unglaublichen Konzentration und Freude.

Dann kam das schwierigste Hindernis: der riesige Dreifach-Oxer. Er war so hoch, dass es schien, als würde er die Sonne berühren. Laura sah ihn an und für einen Moment kehrte die Angst zurück. Das war zu hoch. Das konnten sie niemals schaffen.

Doch dann spürte sie Himmelsstürmers starken Galopp unter sich. Sie spürte seinen Willen. Seine Ohren zuckten nach vorne. Er sah das Hindernis nicht als Problem, sondern als Herausforderung.

Laura holte tief Luft. „Hopp, mein Lieber!“, rief sie laut.

Himmelsstürmer drückte sich ab. Er sprang. Es war nicht nur ein Sprung. Es war ein Flug. Er hob ab, als hätte er Flügel. Höher und höher schwebte er über die Stangen. Laura schloss kurz die Augen und spürte, wie sie für einen Augenblick wieder die Wolken berührten. Die Menge hielt den Atem an. Es war ein Anblick, der allen den Atem raubte.

Dann landeten sie sanft auf der anderen Seite. Ein perfekter Sprung.

Ein ohrenbetäubender Jubel brach los. Die Menge tobte. Laura konnte es kaum glauben. Sie hatte es geschafft! Sie hatten es geschafft!

Sie beendeten den Parcours, alle Hindernisse fehlerfrei.

Als sie den Parcours verließen, klopfte Laura Himmelsstürmer so fest auf den Hals, dass er fast Purzelbäume schlug. „Du bist der Beste, mein Himmelsstürmer! Der allerbeste!“

Es gab noch viele andere Reiter, die nach ihnen starteten. Einige waren gut, aber keiner schaffte den Dreifach-Oxer so mühelos wie Himmelsstürmer. Viele rissen Stangen, einige weigerten sich sogar, ihn zu springen.

Als alle Reiter an der Reihe waren, verkündete der Sprecher die Ergebnisse. „Mit einem fehlerfreien Ritt und der schnellsten Zeit gewinnt das heutige Springturnier in Königsfeld: Laura mit Himmelsstürmer!“

Die Menge brach erneut in Jubel aus. Laura konnte es nicht fassen. Sie hatte gewonnen! Sie und Himmelsstürmer!

Sie ritten zur Siegerehrung. Ein strahlender Herr Gruber und ein stolzer Herr Müller kamen auf sie zu. Herr Gruber umarmte sie und klopfte Himmelsstürmer auf die Schulter. „Ich wusste es! Ich wusste es immer!“, rief er begeistert.

Laura bekam eine wunderschöne goldene Schleife für Himmelsstürmers Zaumzeug und einen riesigen Pokal. Sie strahlte über das ganze Gesicht. Sie hob den Pokal hoch und winkte der Menge zu. Himmelsstürmer wieherte vor Freude.

Als sie am Abend wieder im Stall waren, war Laura müde, aber überglücklich. Sie putzte Himmelsstürmer mit besonderer Sorgfalt und gab ihm eine extra große Portion Möhren. Sie flüsterte ihm ins Ohr: „Wir haben es geschafft, mein lieber Himmelsstürmer. Wir haben den Himmel gestürmt.“

Himmelsstürmer stupste sie sanft an. Er wusste genau, was sie meinte. Sie waren ein Team. Ein Team, das zeigte, dass mit Vertrauen, Mut und einem ganz besonderen Pferd kein Hindernis zu hoch war. Von diesem Tag an waren Laura und Himmelsstürmer auf jedem Turnier bekannt. Sie waren die, die den Himmel stürmten, und ihr Sieg war eine Erinnerung daran, dass Träume wahr werden können, wenn man nur fest genug daran glaubt und den Mut hat, über sich hinauszuwachsen – oder in Himmelsstürmers Fall, über jedes Hindernis zu springen.


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